von Anne Grökel
Ich fall gleich mal mit der Tür ins Haus. Ich hab keinen Bock mehr darauf, dass aktuell gerade die Schuldzuweisungen an der aktuellen Situation in alle Richtungen abgefeuert werden.
Das macht mich echt wütend.
Hat irgendjemand mal darüber nachgedacht, dass wir hier keine Schuldfrage zu klären haben?
Das ist keine Pandemie der Ungeimpften und auch keine schreckliche vierte Welle, weil die Politiker Wahlkampf betrieben haben. Das ist eine Pandemie.
Punkt!
Wir können uns jetzt alle gegenseitig anklagen und für unsere Freiheit auf die Straße gehen. Oder wir reden miteinander. Und gleichzeitig machen wir uns bewusst, dass all unsere schöne Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft nur dann funktioniert, wenn wir auch die nötige Verantwortung für uns und unsere sehr erhaltenswerte Gesellschaft übernehmen.
Klar hätte die Politik eher reagieren können. Klar hätten sie mal weniger Wahlkampf machen und mehr wissenschaftliche Argumente wälzen können. Klar hätten sich noch viel mehr Menschen impfen lassen können. Aber es ist jetzt, wie es ist. Daran ist jetzt nichts zu ändern. Wir können etwas ändern. Jeder einzelne von uns. Wir müssen nicht warten, was die Politik entscheidet. Wir können, dürfen und sollten auch verantwortungsvoll handeln.
Ich brauche keinen Lockdown, um meine Sozialkontakte wieder zu verringern. Mich hindert doch niemand daran. Arbeitgeber dürfen ihre Angestellten ins Homeoffice senden, sofern das die Arbeitsaufgaben hergeben. Dazu braucht es kein Infektionsschutzgesetz.
Ich darf mich als Geimpfte testen lassen, weil ich mir dann auch sicher sein kann, dass ich nicht zum Infektionsgeschehen beitrage. Und Menschen, die berechtigte Ängste bezüglich einer Impfung haben, müssen sich nicht impfen lassen. Sie sollten nur dann auch eigenverantwortlich dafür Sorge tragen, dass auch sie nicht weiter zum Infektionsgeschehen beitragen. Und ich kenne viele, die Vorbehalte haben, sich impfen zu lassen. Und es gehören nicht alle zu den wütenden Menschen auf der Straße oder zu denen, die sich mit gefälschten Impfzertifikaten kriminalisieren.
Und hier kommt die Verantwortung ins Spiel. Wir wollen alle keine Spaltung, also tragen wir nicht dazu bei.
Wir müssen reden! Was treibt die Menschen gerade an? Welche Unzufriedenheit steckt dahinter? Vielleicht sind da wütende Menschen auf der Straße, denen es gar nicht ums Impfen oder Nicht-Impfen geht.
Vielleicht fehlt ihnen generell das Vertrauen in unsere Gesellschaft? Dann ist Solidarität nicht zu erwarten. Man muss an diese Gemeinschaft glauben und in ihr leben wollen, um ein Gefühl von Solidarität zu entwickeln. Und dennoch sind da Menschen, die viel zu lang schon nicht mehr gehört wurden. Und ein Großteil dieser Menschen möchte durchaus Teil einer guten Gemeinschaft sein.
Wenn wir uns gegenseitig abstempeln und in Schubladen stecken, verstärken wir den Effekt der Spaltung. Die Geschichte hat uns gelehrt, was dann passiert. Wir müssen reden!
Und reden heißt nicht, dass wir halbanonym auf irgendwelchen Timelines im Meta-Universum des weltweiten Netzes Kommentare hinterlassen. Reden heißt, Verantwortung für das Gesagte zu übernehmen, in den Diskurs zu gehen, Argumente auszutauschen und uns vor allem auch zuzuhören. Hinter jeder Wut, Angst und Einstellung steckt eine Geschichte, die eine Würdigung verdient.
Nur wenn diese Geschichten sichtbar werden, können Wut, Angst und Einstellungen sich verändern. Und auch die Gemeinschaft kann sich nur dann zu einer lebenswerten Gemeinschaft verändern, wenn die dazugehörigen Geschöpfe mit all ihren Geschichten darin einen Platz finden.
Gemeinschaften können nur existieren, wenn Freiheit und gegenseitige Verantwortung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.
Wir müssen also darüber reden!
Wie kann unsere Gesellschaft aussehen, damit wir verantwortungsvoll mit unserer Freiheit umgehen und welchen Beitrag kann jede/r Einzelne dazu leisten?
Ich freue mich auf Kommentare und Ideen in der Kommentarfunktion.
Sollten Sie oder solltest Du wirklich reden wollen, finden Sie, findest Du im Wandelforum ein offenes Ohr.
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Monika (Mittwoch, 01 Dezember 2021 22:05)
Liebe Anne,
danke für diese klaren Worte. Ich will mit allen meinen Freunden im Gespräch bleiben, ganz ohne Schubladendenken. Manchmal ist es schwer. Und trotzdem reden wir weiter - und hören uns zu, versuchen zu verstehen und verbunden zu bleiben.
Birgit (Samstag, 04 Dezember 2021 15:16)
Ja, reden ist so wichtig, aber wer hört überhaupt noch zu.?Auch die Empathie scheint vergessen, dabei ist sie ein wahres Geschenk. Wie viele Vorurteile und Missgunst würden sich in Verständnis und Anteilnahme auflösen.
Sandra (Sonntag, 19 Dezember 2021 20:38)
Liebe Anne,
deine Gedanken und Worte haben mich sehr berührt. Ich sehe es wie Du. Es braucht (echte) Begegnung, Interesse am Gegenüber, Empathie und Würdigung der Geschichte eines*einer Jeden.
Danke für diesen tollen Beitrag!
Grüße aus Oberursel ♡