von Rainer Molzahn
Jedes Gespräch im öffentlichen Raum braucht einen thematischen Fokus.
Für unsere Erkundungen in der Seminarreihe haben wir uns für 4 Themenbereiche entschieden, die uns jeweils und in der Summe bedeutungsvoll erscheinen, was unser aller Situation, unsere kollektiven und individuellen Zukunftsentscheidungen angeht.
Alle 4 sind nicht einfach ‚Sach‘-Themen.
Im Kern geht es bei ihnen um Beziehungen. Das hat zwei Gründe ...
Beziehungen sind immer, wo ‚die Musik spielt‘. Eigentlich geht es bei allen Themen, die in unseren öffentlichen Räumen verhandelt werden, um Beziehungen – sonst bräuchten sie gar nicht verhandelt zu werden. Erst, wenn Beziehungen geklärt sind, werden Problemlösungen auf der Sachebene leicht.
Während das so ist, gibt es ein kulturelles Tabu dagegen, in der öffentlichen Sphäre über Beziehungen zu sprechen. Das wäre ‚unsachlich‘, denn Beziehungen sind Privat-‚Sache‘. Die Kunst des öffentlichen Gesprächs besteht also unter anderem darin, Beziehungen zu verhandeln, ohne sie zu erwähnen. Das ist nicht ohne …
Unsere Themen sind:
1) Mensch und Erde
Unsere Beziehung zur Erde drückt sich aus und gestaltet sich in der Art und Weise, wie wir wirtschaften: was wir von der Erde nehmen und was wir ihr geben. Was wir ‚Wirtschaft‘ nennen, ist also nichts anderes als Beziehungsarbeit mit der Erde.
(Übrigens, wenn unsere sogenannten Wirtschaftsweisen weise wären, wüssten sie das. Stattdessen werden wir mit solchen intellektuellen Schmankerln wie ‚Ökonomie versus Ökologie‘ zugetextet).
Gegenwärtig sieht unsere Beziehung so aus, dass wir nehmen, was wir kriegen können, und möglichst nichts zurückgeben, außer vielleicht Plastik. Das ist eine pathologische Beziehung, die wir nicht so lassen dürfen.
2) Arm und Reich
Während in den vergangenen Jahrhunderten (ziemlich exakt bis 1973, dem Jahr von Pinochet-Putsch und Ölkrise) die Beziehungen zwischen den Reichen und den Armen noch etwas von Geben und Nehmen, von gegenseitiger Abhängigkeit und Verpflichtung zur Gegenseitigkeit hatten, haben Reagonomics und Turbokapitalismus die Gier der Reichen und Superreichen von heute völlig entfesselt. Sämtliche Beziehungen sind gekündigt. Soziale Verantwortung? Nie gehört.
Woher bezieht das gegenwärtig gültige, eigenartig magische Paradigma seine Berechtigung, dass dem Ganzen nützt, was dem Einzelnen nützt? Und warum wird man eigentlich selbst beim Schreiben dieser kargen Zeilen so wütend?
3) Frauen und Männer
Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben … und drinnen waltet die züchtige Hausfrau … (Schiller, die Glocke, 1799).
Dieses Paradigma der Geschlechterbeziehungen regiert unsere Gesellschaften immer noch in beschämendem Maße.
220 Jahre nach dem Höhepunkt der Aufklärung, 100 Jahre, nachdem die Frauen sich das Wahlrecht erkämpften, sind unsere öffentlichen Räume nach wie vor die ureigene Domäne des Mannes. Ein flüchtiger Blick in den Bundestag illustriert, was wir meinen. Die Statistiken darüber, wie viele Männer in welchem Ausmaß Elternzeit beanspruchen, auch. Die Frauenteile in Führungsgremien sprechen Bände.
Das Ausgrenzen feministischer Prinzipien (z.B. Schutz von Leben, Wertschätzung von periodisch sich wiederholender Alltagsprozessen, Fürsorge und Pflege von Mitmenschen, Beziehungspflege etc.) und das Missverhältnis der Geschlechterbeziehung verursacht viel Leid und Elend auf unserem Planeten.
4) Heimat und Fremde
Die Globalisierung hat eine Welt geschaffen, in der eine relativ kleine Zahl globaler Gewinner einer sehr großen Anzahl lokaler Verlierer gegenübersteht – und auch das natürlich weltweit. Das wiederum hat zum Aufstieg populistischer und archaistischer Bewegungen geführt, die regressiven Hoffnung anhängen, alles werde wieder gut, wenn es nur wieder so würde wie früher, wenn die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden wieder entlang der Grenzen des Kirchspiels gezogen würde, bitte. Freital den Freitalern!
Aber wie das so ist im Leben: es gibt keinen Weg zurück. Also, wo ziehen wir unter den Bedingungen der Globalisierung, des Artensterbens und der globalen Erwärmung die Grenze zwischen eigen und fremd?
Was immer eine Rolle spielt: Individuum und Gemeinschaft
Wofür ist jeder selbst verantwortlich, wofür ist die Gemeinschaft (und also die Gemeinde, das Land oder der Staat mit ihren Ressourcen=Steuern) zuständig, damit der oder die Einzelne nicht so verzweifelt einsam ist in der Bewältigung der Daseinsherausforderungen?
Diese Frage berührt alle Themen, die mit der Beziehung zwischen dem oder der Einzelnen und der Gemeinschaft zu tun haben – von der öffentlichen Ordnung bis zur Landesverteidigung, vom Einkommenssteuersatz bis zur Pflegeversicherung, von der Schulbildung bis zur Sozialversicherung, von Fahrradweg und Bürgersteig bis zur Finanzierung von Grundlagenforschung: diese Beziehungsfrage durchzieht sämtliche Themenbereiche von Politik und gemeinschaftlicher Willensbildung.
Beziehungen prozessieren
Diese Themenbereiche haben wir ausgewählt, weil sie für alle von uns Relevanz haben, weil sich an ihnen, wie man so sagt, die Geister scheiden – und weil sie allesamt Beziehungsthemen sind. Das bedeutet, dass sie auf der Sachebene viel leichter lösbar werden, wenn wir sie auf der Beziehungsebene prozessiert haben, und dass in dem Maße, wie das gelingt, wiederum unsere Beziehungen transformieren. Falls beim Lesen der obigen Zeilen der Verdacht aufkommt, dass sie alle miteinander zusammenhängen, irgendwie: diesen Verdacht teilen wir …
In unserer Seminarreihe wollen wir Methoden des öffentlichen Austausches darüber erproben. Wir wollen uns in ihrer Anwendung selbst erfahren und uns gegenseitig stärken:
Wie können wir Sprech- und Denkräume so gestalten,
dass wir am Ende gemeinsam kluge und tragfähige Entscheidungen treffen können?
Dafür brauchen wir Moderatorinnen, die Kontaktstifter und Brückenbauerinnen sind. Wir brauchen Gesprächskultivierer.
Unsere MoMo-Seminarreihe mit 5 Modulen:
Du lernst und übst dich darin, die Qualität der Gesprächskultur im öffentlichen Raum positiv zu beeinflussen – sowohl als Teil einer Gruppe als auch als Leiter*in einer Gesprächsrunde.
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Ulrike (Sonntag, 29 September 2019 21:14)
Liebes MoMo-Team, ich bin sehr begeistert von eurem Angebot und denke, dass es sehr genau den Kern trifft, was gerade in der Welt gebraucht wird: wirklich in Kontakt miteinander zu kommen, auch über "Blasen und Echokammern" hinweg , die Auseinandersetzung nicht scheuen, Unterschiede erkunden, miteinander weiterdenken, Positionen und Werte vertreten - in Kontakt bleiben, sich und andere wirklich hören, spüren, schätzen...!
Vielen Dank für eure Arbeit und das Angebot - ich empfehle es in jedem Fall in meinem Netzwerk weiter, weil ich leider die Termine nicht alle schaffe.