von Hildegard Mackert
„Ich werde nicht mehr in dieser Gesellschaft leben, die gerecht funktioniert für alle. Trotzdem und auch wenn dieser fürchterliche Krieg gerade alles überschattet, ist es gleichzeitig wahr, dass sich vieles tut, dass sehr viele Menschen und Organisationen an einem neuen Verständnis von internationaler Politik arbeiten.“
Eine leise ermutigende Sicht von Kristina Lunz in dunklen Zeiten.
Ist es ausgerechnet in diesen Tagen, in der 3. Woche des anlasslosen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine zielführend, angemessen, ja erlaubt, ausgerechnet über feministische Außenpolitik nachzudenken? Auf jeden Fall, denke ich!
Sicherheit ist nicht nur eine – auch militärisch – zu garantierende Sicherheit der Grenzen eines Nationalstaates. Sondern sie bezieht sich ganzheitlich auf die Sicherung der Lebensgrundlagen. Denn was Grenzen und Staaten sicher hält, sichert noch lange nicht die Menschen.
Menschen brauchen ein sicheres Dach über dem Kopf, sichere Nahrungsmittel- und Wasserversorgung, Zugang zu Bildung und vieles mehr, um ein Leben in Würde und Sicherheit führen zu können. In Kriegen und Krisen lösen sich diese Gewissheiten auf – oder sie waren noch nie vorhanden. Davon sind Frauen in vielen Bereichen fundamental und vielfältig betroffen – und Kinder haben weder Handlungsoptionen noch eine Stimme.
Feministische Außenpolitik analysiert diese komplexen Vorgänge und Abhängigkeiten und begründet darin den Ansatz ihres Handelns.
Die Stimmen der Frauen in der Außen- und Verteidigungspolitik sind von fundamentaler Bedeutung. Noch immer werden sie aber eher als Opfer denn als Expertinnen wahrgenommen, dabei haben sie einen weiteren Blick auf die Sicherung der Lebensgrundlagen – und sie sind eher bereit, auch anderen marginalisierten Gruppen eine Stimme zu geben. Alle Perspektiven einzubeziehen, macht Friedensabkommen stabiler. Dies versteht sich eigentlich von selbst, es wird aber auch eindrücklich gezeigt in Untersuchungen der UN.
Feministische Außenpolitik ist keine Erfindung einer grünen Außenministerin. Die Ursprünge gehen zurück auf die Zeit des ersten Weltkriegs: Frauen haben keinen Zugang zu Macht- und Entscheidungsstrukturen, in vielen Staaten dürfen sie noch nicht einmal wählen.
Etwa 1000 Frauen aus verschiedenen Ländern treffen sich jedoch im Jahr 1915 in Den Haag zum ersten Internationalen Frauen-Friedenskongress und erheben eine Reihe von weitreichenden Forderungen: zuallererst das Ende des Weltkriegs und die Einstufung von Kriegen als völkerrechtswidrig. Dazu kommen die Forderungen nach Abrüstung, Mediation als Mittel zur Konfliktlösung und: ein Ende der privaten Rüstungsindustrie. 1915!! Visionär!
Und wie bewerten wir nun den Krieg in der Ukraine?
Hannah Neumann, Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament und Friedens- und Konfliktforscherin sagt: „Natürlich ist das jetzt, was Putin da macht, eine unfassbare militärische Aggression. Und es ist klar, dass wir darauf leider auch militärisch antworten müssen, … Aber dass er so mächtig ist und so aggressiv angreifen kann und wir uns davon so abhängig gemacht haben, hat ja was damit zu tun, dass wir viel zu lange genau diese toxische Männlichkeit und diese patriarchalen Strukturen in den internationalen Beziehungen akzeptiert haben.“ So ist es.
Lassen wir uns also nicht damit abspeisen, dies seien alles nur utopische Ideen in idealistischen Gehirnen und einzig Aufrüstung könne uns schützen. Wir wissen alle: mehr vom Immergleichen macht es nicht besser. Es wird Zeit, neu und anders zu denken, wir müssen jetzt anfangen an der Realisierung zu arbeiten!
Wer mehr lesen möchte, schaut hier:
Kristina Lunz: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch - Wie globale Krisen gelöst werden müssen, Ullstein Buchverlage, 448 Seiten, erschienen im Februar 2022
Kristina Lunz ist die Mitbegründerin und co-CEO des Centre for Feminist Foreign Policy. Bis Januar 2020 war sie ebenfalls ein Jahr lang als Beraterin für das Auswärtige Amt tätig und baute das Frauennetzwerk Unidas für den Außenminister. Sie will Frieden, Menschenrechte und Gerechtigkeit mit Außenpolitik zusammendenken, um nichts weniger als einen Paradigmenwechsel einzuleiten.
2 Buchrezensionen
https://www.mdr.de/religion/ukrainekrieg-feministische-aussenpolitik-kristina-lunz-100.html
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/feministische-aussenpolitik-101.html
Die Böll-Stiftung hat ein ausführliches Dossier zusammengestellt:
https://www.boell.de/de/feministische-aussenpolitik
Podcast zu Frauen in Kriegssituationen der Kriegsreporterin Julia Leeb und der Journalistin Cosima Gill
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Rainulf (Montag, 21 März 2022 20:42)
Liebe Hildegard,
danke für diesen treffsicheren und notwendigen Beitrag! Genau was wir jetzt brauchen.
Eine Frage bleibt: was ist mit einer feministischen Innenpolitik?
Anne (Donnerstag, 24 März 2022 10:44)
Virken Dank, liebe Hildegard.
Ich habe gerade dieses Statement unserer Außenministerin dazu gesehen:
https://twitter.com/jagodamarinic/status/1506645265180205057?t=5E04JAbTDKQJisBEYvpPZQ&s=19
Friede Gebhard (Dienstag, 05 April 2022 03:58)
Liebe Hildegard, danke für deinen Beitrag. Ja, die Welt neu und friedlich denken braucht so sehr eine feministische Sicht, die das heldenhafte Leben fördert statt den heldenhaften Tod.