von Rainer Molzahn
Was für eine Koinzidenz, was für eine Freude: Seit Monaten schon treibt mich die Frage um, was wir über all unsere Unterschiede und Konflikte hinweg miteinander singen könnten, um unsere Einheit – und unser aller Einheit mit der Erde – zu feiern. ‚Polykommunion‘ . Da entdecke ich gestern auf der Website von NPR [das ist ein öffentlicher Rundfunk-Kanal in den USA – ja, das gibt es!] die Nachricht, dass ein sehr diverses Musiker-Trio genau dazu einen Vorschlag gemacht hat. Brandneu und zeitlos!
Die drei Künstler, die sich für dieses wunderbare Projekt zusammengetan haben, sind
- Pattie Gonia – schräger Vogel, Drag Queen und Sänger*in. Repräsentantin der dritten Möglichkeit, ein Mensch zu sein. Unverzichtbar…
- Yo-Yo Ma – weltberühmter Cellist, Humanist und Aktivist mit sehr vielfarbigem Horizont. Ich liebe und verehre ihn und seinen Beitrag. Unersetzlich…
- Quinn Christopherson – Singer-Songwriter aus Alaska mit indigenem ethnischen und kulturellen Hintergrund, Gewinner des NPR Tiny Desk Contest 2019. Unwiderstehlich…
Das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit ist diese Hymne der Hoffnung im Angesicht der von uns selbst verursachten Klimakatastrophe:
Won't Give Up
Hier ist das Video – bitte anschnallen:
Und hier ist der NPR-Artikel
Won't Give Up war ursprünglich als Requiem – ein Akt des Gedenkens – für einen schmelzenden Gletscher in Alaska gedacht.
"Wir standen alle drei auf dem Exit-Gletscher, an einem Ort, an dem der Gletscher vor fünf oder zehn Jahren noch drei Meter hoch war", sagt Drag Queen und Sängerin Pattie Gonia, die den Song zusammen mit dem Gewinner des NPR Tiny Desk Contest 2019, Quinn Christopherson, und dem berühmten Cellisten Yo-Yo Ma geschrieben hat.
Das Trio reiste zu dem Ort im Kenai Fjords National Park, um das dazugehörige Musikvideo zu drehen. "Und jetzt ist es nichts mehr", fügte Gonia hinzu. "Jetzt sind es nur noch die Felsen darunter."
Doch im Gegensatz zu vielen anderen Stücken, die sich mit der Umweltkatastrophe befassen, von Joni Mitchells Big Yellow Taxi bis zu Anohnis 4 Degrees, zielt Won't Give Up – wie der Titel schon sagt – darauf ab, der Verzweiflung der Menschen entgegenzuwirken, wenn es um die Eindämmung der globalen Erwärmung geht.
"Der Klimawandel ist sehr real, aber die Lösungen und die Menschen, die daran arbeiten, sind es auch", sagte Gonia.
„Wir werden die Natur nicht aufgeben", sagte Christopherson, ein Nachkomme der Ureinwohner Alaskas, der von den Iñupiat und Ahtna abstammt. „Und wir werden einander nicht aufgeben."
Schmelzende Gletscher - zusammen mit steigenden Meeren und extremen Wetterereignissen - sind zu aussagekräftigen visuellen Markern für die globalen Auswirkungen des Verbrauchs fossiler Brennstoffe, der Hauptursache des Klimawandels, geworden. Der National Park Service hat den Rückzug des Exit Glacier seit Jahrzehnten kartiert.
Yo-Yo Mas Cello-Solo in dem Lied erinnert sogar an den weinenden Gletscher.
„Er spielt diese ätherischen Harmonien, die wunderschön und auch ein wenig eindringlich sind", sagt Nate Sloan, Musikwissenschaftler an der University of Southern California und Mitveranstalter des Popmusik-Podcasts Switched on Pop. Und diese Spannung fängt für mich etwas über das Thema dieses Songs ein, nämlich die Bewahrung dieses wunderschönen Planeten, auf dem wir leben, und gleichzeitig die Erkenntnis, wie empfindlich und zerbrechlich er ist und wie schnell er bedroht wird."
Trotz der Verbindung des Songs zu schmelzenden Gletschern bezieht sich der Text nicht speziell auf den Klimawandel. Sloan sagte, der Refrain von Won't Give Up könnte als Aufforderung für viele soziale Bewegungen dienen.
„Die Aussage ist ein wenig unbestimmt", sagte Sloan. „Sie beinhaltet Raum für Inspiration, Interpretation und Kommunion. Vielleicht genau das ist, was die Welt jetzt von einer Klimahymne braucht."
Die Breite der Botschaft ist also beabsichtigt.
„Es gibt viel Potenzial für dieses Lied, um bei Klimakundgebungen gesungen zu werden, um als Teil der Klimabewegung gesungen zu werden," sagte Gonia. „Aber auch, dass der Song das ist, was er sein muss und was er für andere Menschen bedeuten muss – egal, wer sie sind. Wenn jemand den Song hört und denkt, dass es nicht um das Klima geht, sondern um Rassengerechtigkeit oder um die Rechte von Queers, dann ist das wunderbar. Nimm es an, mach es."
Won't Give Up wurde diese Woche offiziell veröffentlicht. Einige Teilnehmer in Fairbanks bekamen einen Vorgeschmack, als sie bei einem kürzlich abgehaltenen Musik-Workshop mit den Künstlern mitsangen.
„Wir müssen in der Lage sein, diese großen Emotionen auszudrücken, damit wir weiter handeln können und nicht in diese Grube der Verzweiflung fallen", sagte die Organisatorin des Workshops, Princess Daazhraii Johnson, ein Vorstandsmitglied von Native Movement, einer von Ureinwohnern geführten Interessengruppe in Alaska. (Johnson identifiziert sich als Neets'aii Gwich'in und aschkenasische Jüdin – viel diverser wird es nicht!):
‚In dem Lied geht es um so viel mehr als ‚nur‘ um die Klimakrise und unsere Mutter Erde. Es geht um unsere Verbindung als menschliche Spezies und als Familie.‘
Die Musiker hoffen, dass Won't Give Up zu einer Hymne für die Klimawandelbewegung wird, so wie Charles Albert Tindley‘s We Shall Overcome für die Bürgerrechte im 20. Jahrhundert und Quiet von Milck für die Rechte der Frauen in den Monaten nach der Präsidentschaftswahl 2016. Christopherson sagte, der beste Weg, dies zu erreichen, sei, andere Leute dazu zu bringen, es zu singen:
‚Der Song ist zum Singen, zum Brüllen und zum Tanzen da. Der Song soll einfach geteilt werden.‘
Meine spontane Resonanz – als Person, als Musiker und als Wissenschaftler des Menschlichen
- Als Rainer bin ich gerührt, bewegt und fühle mich gesprochen. Lauter, klarer und artikulierter, als ich mich ganz allein für mich trauen würde zu sein. Danke!
- Als Musiker fühle ich mich bestätigt, inspiriert und ermutigt. Schließlich fühle ich mich seit mindestens fünfzig Jahren keiner künstlerischen Domäne so zugehörig wie der Weltmusik. Danke!
- Als Kultur-Anthropologe beschäftigt mich aktuell mehr als je zuvor, angestupst durch die zauberhafte Initiative des mittlerweile so benannten ‚Eco-Trios‘, die Frage: Wie genau ist es eigentlich geschehen, was waren und sind die guten Absichten davon, das gemeinsame Singen und seine enorme Power aus der Kultur unserer öffentlichen Räume zu verbannen? Liegt der Grund vielleicht genau darin? Mit welchen Wirkungen, Risiken und Nebenwirkungen geht das einher?
- Danke!
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klangraeume (Dienstag, 21 November 2023 17:35)
Grossartig :-)
Yo-Yo Ma hat die Musik gemacht für "Sieben Jahre in Tibet ". Die Verfilmung der Freundschaft zwischen Heinrich Harrer und S.H. des XIV. Dalai Lama :-) . Und der der Pitt, der Brad, hats grossartig gespielt. Hats fast gar nix gemacht das der Film in Südamerika gedreht wurde, die erforderlichen Yak's -fürs Tibet-Feeling- wurden extra eingeflogen.
Das war jetzt sogar die Biege zum Thema Klimaschutz:
Leute, wir habens versaut. Der Regenwald im Amazonas= die Lunge unseres Planeten steht kurz vorm Kipp-Punkt, und wenn die Wissenschaftler das schon freiwillig zugeben, sind wir wahrscheinlich schon über dem Kipp-Punkt. Wir habens sowas von versaut............. :-(
Umso schöner der Song und auch dein Artikel Rainer > Kompliment!
Jim Morrison hat mal gedichtet: "music is your only friend - until the end".
So wars, so is es, und wird es sein. Dem ist nichts hinzuzufügen.
seufz