Wafaa Al-Najili und das Delia Arts Center in Gaza

von Rainer Molzahn

Wafaa Al-Najili und das Delia Arts Center in Gaza

Im Moment resonieren wir alle hier im Auenland tief mit den Menschen, die als Folge des verbrecherischen Militärschlages von Mordor-Russland gegen die Ukraine in ihrer Lebensführung und besonders in der Ausübung ihrer Künste behindert werden. Sie verdienen alle unser Mitgefühl und unsere Unterstützung.

 

Heute möchte ich mein Mitgefühl, meine Unterstützung und ja, meine Bewunderung teilen für Menschen und Künstler*innen in einem Land, das solchen Vernichtungsdynamiken nicht erst seit Wochen, sondern mindestens seit Jahrzehnten ausgesetzt sind – und die sich kreativ weigern, die Täter/Opfer-Verdammnis besinnungslos zu verlängern. Aloha!


Wafaa Al-Najili und das Delia Arts Center in Gaza

Darf ich vorstellen:

Wafaa Al-Najili (Sängerin) und das Delia Arts Center in Gaza, Palästina, im von uns so genannten ‚Nahen Osten‘: Konfliktherd eigentlich seit Jahrtausenden. In akuten kriegerischen Auseinandersetzungen seit mindestens 1967. Sie alle haben uns etwas Wichtiges zu lehren – uns im Auenland und unseren Schwestern, Brüdern und all der weiteren Verwandtschaft in Gondor, an der Grenze zum dunklen Reich Saurons (wie Putin sich angeblich gerne von seinen Minions nennen lässt):

“Use your voice while you still can!” Nadya Tolonnikova, Pussy Riot 

Das ist es genau, was Wafaa Al-Najili tut. 

 

„Im Gaza-Streifen gibt es nicht viele Möglichkeiten sich öffentlich auszudrücken“, so Ayman Mghamis, der Projektleiter des Zentrums: Die palästinensischen Musiktraditionen sind seit der israelischen Besatzung bedroht, aber auch das Kunst- und Kulturleben in Gaza hat unter der Herrschaft der ultrakonservativen Hamas stark gelitten. In den letzten 15 Jahren wurden Konzerte verboten. Selbst Mohammed Assaf, der äußerst beliebte Gewinner von Arab Idol (!!!) aus einem Flüchtlingslager in Gaza, konnte nicht öffentlich auftreten.

Kurz zum leidvollen Kontext:

 

Das Psychosyndrom, unter dem nach Schätzungen der UNRWA mehr als die Hälfte der im Gaza-Streifen gefangenen Menschen – Erwachsenen wie Kindern – leidet, ist mittlerweile quasi offiziell als Gaza-Syndrom benannt. Das ist die Version einer posttraumatischen Belastungsstörung, die entsteht, wenn das Trauma nicht aufhört, sondern sich unentrinnbar wiederholt. (Aus dem Gaza-Streifen kann man nicht entkommen, nicht fliehen. Er ist ein 40 mal 10 km kleines Gefängnis, die Insassen sind zu 70% Flüchtlinge, also bereits entwurzelt.) Bitte unbedingt dazu die arte-Reportage anschauen, Taschentücher bereitlegen!

 

Das Delia Arts Center gibt es nach mühevollen Geburtswehen seit etwa drei Jahren. Es wird mittlerweile von rund achtzig bis neunzig Personen pro Woche (!) besucht – die meisten sind späte Teenager und Twenty-Somethings. Hier tritt Wafaa Al-Najili regelmäßig auf. Für sie ist das Zentrum ein Rettungsanker: ein Ort, an dem sie mit ihren Lieblingsstücken und eigenen Liedern experimentieren und ihre Leidenschaft an eine neue Generation von Mädchen aus Gaza weitergeben kann, die die Welt der Musik entdecken wollen, und sich selbst in ihr. 

Die 30-Jährige aus Khan Yunis im Süden des Gazastreifens wuchs in einer Familie auf, die Musik liebte. Sie und ihre Geschwister lernten von ihrem Vater, der bei Hochzeiten sang und die Oud spielte. Trotz ihres Talents gab es für Najili im blockierten Gazastreifen jedoch keine Möglichkeit, der Musik nachzugehen, so dass sie eine Ausbildung zur Krankenschwester machte. "Die Arbeit als Krankenschwester war für mich die einzige Möglichkeit, unter den schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen, in denen wir leben, Geld zu verdienen", sagte sie. "Ich habe noch nie auf einer großen Bühne gestanden und vor Publikum gesungen, weil es in Gaza keine öffentlichen Konzerte gibt. Aber es bleibt mein größter Traum."

Immerhin, jetzt kann sie ihr Talent, ihre Leidenschaft im Arts Center mit anderen teilen – unter immer noch unter äußerst herausfordernden Bedingungen. Das Ambiente des Clubs erinnert nicht nur an einen, sondern ist wahrscheinlich zeitgleich ein Luftschutzbunker. Wie man in diesem wunderbaren Video unmittelbar sehen kann:

Was mich beim Anschauen und Hinhören so besonders berührt:

Wie wundervoll ähnlich und unterschiedlich unsere kulturellen Musikverständnisse sind – siehe auch die Arab Idol-Sequenz: Palästina sucht den Superstar! Zum Verlieben. Und wie sehr beides zusammenhängt mit der kulturellen Unterdrückung des Weiblichen, hier wie dort.

Zum Beweis hier ihre Version des Beatles-Klassikers 'Blackbird`'... 

Dies alles ermutigt mich – übrigens auch in Resonanz zu einem rezenten Blog-Post von Hildegard – zu fordern:

 

Wir brauchen nicht nur eine feministische Außen- und Innenpolitik, sondern auch eine feministische Kulturpolitik. Eine feministische Politik. Transkulturell. Jetzt mal ganz unter uns...

 

Hallo, liebe neue UNO?

Update: die Delia Arts Foundation im Mai 2024

Seit dem 7. Oktober 2023 ist im Nahen Osten - und besonders in Palästina, und ganz besonders n Gaza - nichts mehr, wie es war. 

Das Delia Arts Center geht seitdem durch einen tiefgreifenden Transformationsprozess. 

Hier ist der Statusreport des Teams...

Das Delia Arts Center in Gaza: Vom Kulturzentrum zur Notunterkunft

Als unser Zentrum in Gaza bombardiert wurde, schlossen wir uns mit Partnern zusammen und gründeten die Künstlerunterkunft in Rafah, um die Künstler aus Gaza und die palästinensische Kultur zu schützen.

Beispielhaft hier ein Kommentar zum Video auf dem YouTube-Kanal von Delia Arts:.


NB: unbedingt abonnieren!

"Ich danke Euch dafür. Es bricht mir jeden Tag das Herz, wenn ich die Schrecken sehe, die die Palästinenser Tag für Tag ertragen müssen, und ich weiß, dass Musik, wenn es ums nackte Überleben geht, wie ein frivoler Zeitvertreib erscheinen kann, aber sie ist viel mehr als das. Musik ist unglaublich mächtig.

Sie hat die Kraft, zu vereinen und zu stärken, Leben zu verändern und Gefühle zu teilen, für die es keine Worte gibt, und sie ist ein unglaublich reicher, schöner und wichtiger Teil der palästinensischen Kultur, Geschichte, des Erbes und der Identität.

In diesem Sinne ist das Musizieren und die Bewahrung der musikalischen Traditionen ein Akt des trotzigen Widerstands gegen den kulturellen Genozid. Ich würde sagen, es ist auch ein radikaler Akt der Liebe, denn Musik spricht direkt zu unserer gemeinsamen Menschlichkeit - über Kulturen, Sprachen, religiöse und ethnische Grenzen hinweg - Musik kann all diese künstlichen und fehlerhaften Barrieren, die wir errichtet haben, um uns zu trennen, überwinden und uns daran erinnern, dass wir alle Menschen sind - eine Erinnerung, die heute sehr nötig ist... Eure Arbeit ist heute wichtiger denn je." 

 

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