von Rainer Molzahn
Echtheit bzw. Ehrlichkeit ist der wichtigste Wert der Deutschen.
Hierzulande, aber auch in den anderen protestantisch geprägten Kulturen des Westens, messen wir uns und vor allem die anderen maßgeblich daran, wie sehr sie ‚ganz sie selbst‘, ‚stimmig‘, ‚kongruent‘, eben ‚echt‘ und ‚authentisch’ sind.
Die gesamte humanistische Psychologie propagiert dieses Persönlichkeitsideal seit mindestens sechs Jahrzehnten, es liegt allem zu Grunde, was in ihrem Namen als Leitmotiv persönlicher Entwicklung gefordert und praktiziert wird.
Musterhaft verwirklicht – so wurde es tatsächlich immer wieder beschrieben – ist dieses Persönlichkeitsideal im Kleinkind und dessen unschuldiger Meisterschaft darin, fließend all seine Befindlichkeiten und Bedürfnisse auszudrücken und mitzuteilen, sich nicht innerlich zu zensieren. Bald gab es dafür ein Fachwort: Selbstaktualisierung.
Im Laufe unseres Heranwachsens und Erwachsenenlebens würden wir dann unsere Fähigkeit zur Selbstaktualisierung unserer Angepasstheit opfern, das würde dann zu allem möglichen Unglück führen, und wir müssten als Erwachsene neu lernen, unsere Bedürfnisse und Befindlichkeiten zu aktualisieren, damit wir wieder ganz authentisch werden können.
Seitdem leiden wir darunter, dass uns das zu selten oder unvollständig gelingt.
Der Unterschied zwischen einem Kleinkind und einem Erwachsenen ist jedoch:
Nur ein Kleinkind kann es sich leisten, nur es selbst, nur Person zu sein.
Als Erwachsene sind wir nicht nur für uns selbst da, wir haben Rollen zu spielen, Beiträge zu leisten, damit die Gemeinschaft, deren Mitglied wir sind, überlebt und womöglich gedeiht. Streng genommen macht es die Rolle, die wir zu spielen haben, unmöglich, dass wir einfach nur wir selbst, dass wir ganz authentisch sein könnten, denn das wäre dysfunktional und letztlich eine Gefahr für unsere Gemeinschaft.
Aber alle unsere Rollen über Bord werfen und einfach nur wieder ganz Person sein, das wollen die meisten von uns auch nicht, denn das hätte zur Folge, dass wir ein sehr solitäres Leben in der Wildnis führen müssten.
Sobald wir in Beziehung zu anderen treten, kommen wir um das Thema ‚Rolle‘ nicht herum.
Und damit stellt sich das Problem der Authentizität erneut.
- Wie kann ich rollenbewusst und, da jede Rolle mit einem Rang behaftet ist, rangbewusst handeln und so meiner Verantwortung für das Ganze gerecht werden – und dabei doch so authentisch sein, dass ich meine persönliche Wahrheit und meine Eigenliebe nicht verrate oder opfere?
- Wie kann ich einen Konflikt zwischen Rolle und Person in mir so lösen, dass meine Entscheidung ethisch sauber, systemisch klar und psychologisch klug ist?
Diesen und anderen Fragen, die sich aus dem Verhältnis und der komplexen Dynamik zwischen Person und Rolle ergeben, wollen wir sehr praktisch in einem Workshop nachgehen, um daraus Handlungsoptionen für reale Situationen zu gewinnen, die sich im Spannungsfeld von Rolle, Person und Authentizität bewegen.
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