von Rainer Molzahn
Welche 6 Stufen durchlaufen Gemeinschaften bis zu einer Kohäsion, die nicht mehr so leicht zu erschüttern ist?
Und wie wird aus einem Ich das Wir²?
Im letzten Beitrag hatte ich angefangen vom Workshop zu berichten.
Es ging um das neue Verhältnis von 'Ich' und 'Wir' - als Ansatz für eine neue Psychologie des 21. Jahrhunderts - und das Konzept der Kohäsion.
Heute nun: Die Entwicklung zum Wir².
Die Entwicklung von Gemeinschaften in 6 Stufen
Die Entwicklung vom Ich zum Wir Quadrat beginnt immer damit, gemeinsam einer Wirkung aus dem Außen ausgesetzt zu sein (latente Kohäsion).
Sie geht weiter über eine Auseinandersetzung über das von allen Bezeugte (naive Kohäsion) und schreitet fort zum gemeinschaftlichen Ringen um die Bedeutung dessen, was man erlebt und ausgetauscht hat: Wozu ist man gemeinsam aufgefordert (herausgeforderte Kohäsion)?
Ergebnis dieses Prozesses sind Entscheidungen, Führungsfiguren, Strukturen und Rollen, Gewinner und Verlierer, eventuell verlassen einige die Gemeinschaft (konturierte Kohäsion).
Das Ganze wirkt jetzt konzertiert in das Außen (reife Kohäsion).
Und dann wird man, wahrscheinlich an unterschiedlichen Stellen und in unterschiedlichen Rollen, mit den Rückwirkungen des eigenen Handelns konfrontiert. Gemeinsam muss man sich über die jeweiligen Wahrnehmungen austauschen, ihre Bedeutung diskutieren und sinnvoll darauf antworten.
In diesem Prozess verändert sich die kollektive Identität erneut (transformierte Kohäsion).
Das ist das Wir-Quadrat.
Auf jeder Stufe der kollektiven Entwicklung ist die einzelne Person anders gefragt und gefordert: im Sinne der Beiträge, die das Ganze von seinen Mitgliedern jeweils braucht, und im Sinne des persönlichen Wachstumsprozesses, der in diesem Kontext stattfindet und ihn mitbewirkt.
Das ist die Verschränktheit und Verwobenheit von individueller und kollektiver Entwicklung, von der ich im letzten Beitrag sprach.
Das Ganze braucht den Einzelnen, der Einzelne braucht das Ganze, und beides in gleichem Maß.
Austausch
Die Teilnehmenden am Workshop hatten dann Gelegenheit, sich aus drei verschiedenen Perspektiven auszutauschen:
Als Mitglied einer Gemeinschaft:
Welche Rolle habe ich in meiner Gemeinschaft inne? Wo stehen wir als Gemeinschaft in unserer Entwicklung? Woran mache ich das fest? Wie gehe ich persönlich damit um? Wozu sind wir einzeln und gemeinsam aufgefordert?
Als jemand, der Gemeinschaften von außen begleitet:
Wie wichtig ist mir die gemeinschaftliche Dimension in meiner Arbeit? An welcher bzw. bis zu welcher Entwicklungsstufe begleite ich? Was genau ist mein Beitrag zur Entwicklung der Gemeinschaften, mit denen ich arbeite? Welche persönlichen Herausforderungen beinhaltet das für mich?
Als Mitglied der abb-‘Community of Practice‘
Was bedeutet mit diese Gemeinschaft und meine Mitgliedschaft in ihr? An welcher Stelle unserer Entwicklung stehen wir gemeinsam? Inwieweit und worin sind wir voneinander abhängig? Wozu fordert all das uns einzeln und gemeinsam auf?
Mein vorläufiges Resümee
Die Gespräche, so hörte ich später vereinzelt, waren interessant und konstruktiv. Gern hätte ich natürlich Spezifischeres erfahren, aber wie das auf solchen Symposien so ist, dann kommt der nächste Workshop, das nächste Thema, die nächste Gruppe, und abends ist man platt und trinkt Prosecco.
Mein persönliches Resümee im Moment:
Ich glaube, es liegt noch eine Menge Arbeit vor uns (im Wandelforum), um unseren modernen Mitmenschen die unentrinnbare wechselseitige Abhängigkeit zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen Teil und Ganzem wieder näher zu bringen.
Mein Verdacht ist allerdings, dass der Schlüssel dafür ein ganz einfacher ist:
das Scharnier zwischen Person und Gemeinschaft ist die Rolle.
Die Unterschiede zwischen Person und Rolle zu verstehen, sich nicht nur in persönlichen Authentizitäts-Pirouetten schwindelig zu drehen, Rollen-Bewusstsein zu entwickeln und die Rechenschaftsfähigkeit, die damit einhergeht, ... darauf werden wohl meine demütigsten pädagogischen Bemühungen der kommenden Jahre gerichtet sein.
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