von Rainer Molzahn
Am Sonntag, den 3. April, um 20 Uhr MEZ, wurde von einer Vielzahl von Presseorganen weltweit synchronisiert das bisher größte Datenleak aller Zeiten veröffentlicht:
Die jetzt schon legendären Panama Papers.
Der Vorhang der Heimlichkeit, hinter dem die globalen sogenannten Eliten ihre Steuersenkungsbemühungen betreiben lassen, bekam auf einmal ein großes Loch.
Ein filmreifer Polit-Thriller mit offenem Ende
Im Februar 2015 offenbart die Süddeutsche Zeitung erstmals, dass sie große Datenmengen der internen Datenbank von Mossack Fonseca, einer panamaischen Wirtschaftskanzlei, zugespielt bekommen hat. Über die kommenden Monate schwillt der Daten-Tsunami auf 2.6 Terabyte, 11 Millionen Dateien, Informationen über 214 000 Briefkastenfirmen an – viel zu viel, um von einer einzigen Zeitung gesichtet und ausgewertet zu werden. Die Quelle nennt sich John Doe, bis heute ist unbekannt, um wen es sich da handelt. John Doe ist im Englischen so eine Art Max Mustermann.
Ab Juni werden die investigativen Anstrengungen orchestriert vom ICIJ (International Consortium of Investigative Journalists), wahrscheinlich hunderte von Journalisten in vielen Redaktionen arbeiten synchronisiert und in großer Verschwiegenheit. Am 4. März 2016 bekommt Mossack Fonseca einen Brief, in dem steht, dass Informationen über Tausende von Firmen, die von der Kanzlei betrieben werden, in den Händen der Süddeutschen und des ICIJ sind.
Am 11. März bricht der isländische Premierminister ein Interview mit schwedischen Journalisten ab, die ihn zu seinen Offshore-Geschäften befragen wollen. Das Bildmaterial wird bis zum großen Knall unter Verschluss gehalten.
Um 19:48 am 3. April tweetet Edward Snowden einen Link zur Süddeutschen, unter der Überschrift ‚Ein Sturm zieht auf‘. 12 Minuten später bricht er los.
Ein großes Loch im Vorhang des Steuergeheimnisses
In den folgenden Tagen hagelt es Enthüllungen, wer im Einzelnen da sein Schäfchen ins trockene Panama gebracht hat.
12 Länder sind ganz direkt betroffen: Neben Panama selbst sind es Argentinien, Island, Großbritannien, Simbabwe, Syrien, Russland, Aserbeidschan, Iran, Pakistan, China und Australien.
Auch die Liste der einzelnen Namen ist so buntscheckig wie eindrucksvoll. Da findet sich der ukrainische Premier Poroshenko direkt neben dem direkten Umfeld des russischen Präsidenten Putin (man muss ja vorsichtig formulieren), die letztlich Mahmoud Ahmadinejad gehörende iranische Ölfirma Petrocom neben sunnitischen Milliardären wie König Salman von Saudi-Arabien und dem Präsidenten von Abu Dhabi, der Cousin von Bashar al-Assad in Syrien neben Präsident Sharif aus Pakistan. Und ganz viele Verwandte von hochrangigen chinesischen Politikern. Mossack Fonseca hat nirgendwo so viele Niederlassungen wie in China.
Das ist schon beeindruckend. Aber das alles sind ja nur die Spitzen eines Eisgebirges, auf die jetzt dank John Doe das grelle Licht öffentlichen Wissens fällt. Gemäß Schätzungen des Ökonomen Gabriel Zucman von der London School of Economics werden acht Prozent des globalen Vermögens in Steueroasen versteckt - $ 7 600 000 000 000.
Sieben komma sechs Billionen Dollar, ich hoffe, ich hab die Nullen richtig gezählt.
Ist dies die globale Verschwörung, von der immer gemunkelt wird?
Was auffällt:
Die oben aufgeführten Namen gehören Politikern, die im Namen der von ihnen beherrschten kleinen Leute zum Teil miteinander in Kriegszuständen sind, in denen natürlich die kleinen Leute ihre kleinen Leben lassen.
Und während sie sichtbar für die kleinen Leute über dem Tisch ihre ideologischen und religiösen und sonstigen Differenzen austragen, texten sie unterm Tisch, unsichtbar für die kleinen Leute, auf ihren Smartphones alle derselben Anwaltskanzlei in Panama, deren Klienten sie alle sind.
Meist gebrauchen sie, um unentdeckt zu bleiben, dabei Pseudonyme – unter anderem so fantasievolle wie 'Harry Potter‘, ‚Winnie Pooh‘ und ‚Daniel Radcliffe‘ …
Ist dies also eine Art globaler Verschwörung der Mächtigen gegen ihre eigenen Leute?
Oder ist es sogar eine ganz spezielle Art von Friedensarbeit, denn wenn man so viele gemeinsame Interessen hat, dann kann man doch die Konflikte untereinander nicht auf die Spitze treiben?
Sollten Mossack und Fonseca ihre Klientel mal zu einem Teambuilding Event einladen? Rafting auf dem Panamakanal? Wir vom Wandelforum könnten da interkulturell versierte Outdoor-Trainer stellen!
Auf jeden Fall haben durch die veröffentlichten Dokumente Begriffe wie ‚Wirtschaftsflüchtling‘ und ‚Parallelgesellschaft‘ die Bedeutungen zurückerhalten, die ihnen gebühren.
Auswirkungen? Mal sehen
Die ans Licht gekommenen Tatsachen, wie die Reichen es weltweit vermeiden, ihre Steuern zu zahlen, sind unbestreitbar. Sie sind beschämend und skandalös und himmelschreiend ungerecht. Sie sind eigentlich Zündstoff für eine Weltrevolution. Nur: illegal sind die meisten dieser Tatsachen wohl nicht. Sowohl Mossack Fonseca als auch beteiligte Banken betonen in ihren Reaktionen auf die Enthüllungen immer wieder, man hätte sich immer im Rahmen geltenden Rechts bewegt. Die Gesetze wurden in den meisten Ländern von Leuten gemacht, die wir kleinen Leute gewählt haben. Ganz wunderbar in diesem Zusammenhang die Twitter-Reaktion der Nichte von Herrn Mossack, Caroline, auf einen Beitrag im Vice Magazine Ende 2014, der der Kanzlei vorwarf, mit „Oligarchen, Geldwäschern und Diktatoren“ zu arbeiten:
“I live guilt-free, and I don’t give a shit all you people making fun of my uncle and of Panama. We are a happy country where nobody works because all you fuckers bring YOUR dirty money here. LOL we just spend it. YOUR governments are the ones making crimes. We are just lawyers and we don’t care. Panama is the happiest country in the world.”
Nochmal: wir haben die Leute gewählt, die die Gesetze gemacht haben, die solche Ungeheuerlichkeiten nicht nur ermöglichen, sondern sogar schützen. Es liegt an uns, unsere Volksvertreter an das zu erinnern, was sie sind.
Danke an die Whistleblower und die Journalisten
Vor wenigen Tagen, am 6.5., meldete sich John Doe wieder zu Wort, mit einem absolut lesenswerten Manifest, in dem er (oder sie) das Ausmaß der globalen Ungerechtigkeit anklagt (oder anklagen). Besonders berührt haben mich die Ausführungen dazu, was man auf sich nimmt, Skandale ans Licht zu bringen, für deren Veröffentlichung man eigentlich die bürgerliche Heldenmedaille überreicht bekommen müsste von unseren demokratischen Staatsoberhäuptern:
Edward Snowden ist immer noch in Russland gestrandet, ausgerechnet.
Bradley Birkenfield ging für seine Enthüllungen über die Schweizer UBS ins Gefängnis.
Antoine Deltour steht vor Gericht, weil er Journalisten mit Information zu den geheimen Steuer-Deals des Landes mit multinationalen Konzernen versorgte.
Und so weiter, die Liste kriminalisierter Journalisten und Whistleblower ist lang.
John Doe tut gut daran, sich bedeckt zu halten.
Vor ein paar Tagen war der internationale Tag der Pressefreiheit.
Ich möchte ein tief empfundenes Danke sagen an alle unbestechlich mutigen Journalisten, die uns, die demokratischen Souveräne unserer Herrschenden, mit Informationen aus deren Hinterzimmern versorgen. Insbesondere möchte ich meine Hochachtung ausdrücken vor der Arbeit des ICIJ, ohne die auch die Panama Papers nicht so planvoll und wirkungsvoll veröffentlicht worden wären.
Wir ehren die Arbeit all dieser Leute, wenn wir unsererseits mit Ernst und Mut prozessieren, was ihre Informationen für unsere Gemeinwesen bedeuten. Das sind wir ihnen schuldig.
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