von Rainer Molzahn
In Teil 1 dieser Blogreihe hatte ich das Konzept der kollektiven Intelligenz schon auf die konkreten systemischen Gegebenheiten hin spezifiziert, unter denen sie stattfindet.
In diesem Teil möchte ich dahin zurückkehren und der Frage nachgehen, welche Aufgaben und Herausforderungen sich für die Führung in Organisationen ergeben, wenn sie interessiert daran ist, den kollektiven IQ ihres Verantwortungsbereich zu erhöhen.
Kollektive Intelligenz: die Rolle der Führung
Im ersten Teil hatte ich formuliert: „In einem hierarchischen System, dass sich von ‚oben‘ legitimiert, ist das Ganze nicht klüger als der Chef. Damit wird die kollektive Intelligenz zur Chefsache.“ Es lässt sich natürlich die Frage stellen, warum die Führung überhaupt an kollektiver Intelligenz interessiert sein sollte. Offensichtlich sind es viele Führungen nicht, sonst würden wir nicht ständig so flagrante Inzidenzen kollektiver Dummheit erleben, mit teilweise weitreichenden zerstörerischen Auswirkungen wie etwa in der Bankenkrise von 2008/2009.
Voraussetzungen
Aus meiner Sicht gibt es drei Voraussetzungen dafür, dass die systemische Führung an der Beförderung des IQ ernsthaft interessiert wäre:
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Die Führungsverantwortung sollte weiter reichen als der Arbeitsvertrag erzwingt. Zeitlich wie örtlich. ‚Nach mir die Sintflut‘ führt zu
kollektiver Dummheit, und jede Organisationskultur, die eine solche Haltung duldet oder sogar belohnt, ist selber schuld.
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Alles, was die Führung tut oder lässt, hat einen ‚Trickle-Down‘-Effekt die hierarchischen Treppenstufen hinab. ‚Nach mir die Sintflut‘ kreiert
auf allen Hierarchieebenen dieselbe Haltung, auch ohne dass man das programmatisch verkündet. Kollektive Intelligenz ist nicht möglich ohne ein Bewusstsein der Führung über diese
Wirkung.
- Der Führung muss die Förderung von Kooperation auf der Basis allseitiger Interdependenz am Herzen liegen. Dafür ist das herkömmliche Zielvereinbarungswesen kein geeignetes Instrument, denn es funktioniert über individuelle Gratifikationen. Es belohnt Wettbewerb und nicht Kooperation.
Kollektive Intelligenz in hierarchischen Organisationen braucht also eine dienende Führung, und eine, die sich der Auswirkungen ihres Tuns bewusst ist und sich ihnen stellt.
Das sind durchaus keine vollkommen trivialen Voraussetzungen. Sie liegen nicht nur in der individuellen Persönlichkeit, sondern auch im Verhältnis der Eigner zu der Organisation, die ihnen gehört. Abwesende Eignerschaft, die nur an den Vierteljahreskennzahlen interessiert ist, wird ein Management installieren, das genauso ist.
Tun und Lassen
Sind also diese grundlegenden Voraussetzungen gegeben:
Was kann man als Führung konkret tun, um kollektive Intelligenz im eigenen Verantwortungsbereich zuzulassen und zu fördern?
- Für ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis der Geschlechter sorgen, ebenso der Altersgruppen und Erfahrungshintergründe
- Öffentliche Räume (reale wie virtuelle) schaffen, die dem Austausch von Wissen und Perspektiven förderlich sind, und nicht durch unmittelbaren Ergebnisdruck gekennzeichnet
- Experten unterstützen und auffordern, ihr Wissen zu teilen
- Minderheiten darin unterstützen, sich zu äußern und gehört zu werden, auch die kreativen Sonderlinge
- Besonderes Gewicht auf die Pflege der schnittstellen-übergreifenden Zusammenarbeit und Kommunikation legen
- Die Leute immer wieder darin ermutigen und fordern, aus ihren Rollen heraus zu sprechen, im Sinne ihres Beitrages zum Ganzen
- Interessen, die mit Rollen einhergehen, transparent machen und enttabuisieren
- Offen mit den unpersönlichen Beziehungsmustern von Interdependenz und Konkurrenz umgehen
- Ermutigen, auch Unfertiges und noch nicht zu Ende Gedachtes in den öffentlichen Raum zu bringen
- Sich immer wieder in die Position derer versetzen, die im Außen von der gemeinsamen Arbeit abhängig sind, und mutmaßen, was die Entscheidungen, die man im Inneren trifft, für die Stakeholder im Außen bedeuten
- Leuten Gehör verschaffen, deren Job die Beziehungspflege mit der Außenwelt beinhaltet
Und dann natürlich: Ab und an mal ein Feedback darüber einholen, wie die Auswirkungen der eigenen Entscheidungen und Maßgaben für die bedeuten, die am Empfänger-Ende sitzen. Das tut man, indem man fragt, indem man Vertraute vorschickt, um die Ohren aufzumachen, und manchmal muss man sich auch zu einem extern moderierten Event zusammenfinden, ohne Ergebniszwang, um zu hören und zu lernen.
Kollektive Intelligenz und Unternehmenskultur
Es gibt übrigens Beispiele für Unternehmenskulturen, die nach ähnlichen Prinzipien wie denen, die ich eben aufgezählt habe, kollektive Intelligenz und Kreativität zu fördern versuchen. Das bekannteste Beispiel ist wohl Google.
Nachdem ich diesmal kollektive Intelligenz in Top-Down-Systemen beschrieben habe, soll es beim nächsten Mal um die Frage gehen, wie kollektive Intelligenz in Systemen gedeihen kann, die ihre Führungen durch Mehrheitsentscheidungen legitimieren.
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