von Rainer Molzahn
Im letzten Monat des abgelaufenen Jahres ist tatsächlich passiert, was viele von uns gar nicht mehr für möglich gehalten hatten: in Paris einigten sich die Vertreter von 195 Staaten und der EU verbindlich auf ein Klimaschutzabkommen.
Das Abkommen (unten der Entwurf im Wortlaut) sieht vor, dass die Erderwärmung auf „deutlich unter 2 Grad“ begrenzt werden soll. Wenn das keine frohe Botschaft ist!
Wie wurde das möglich? Was waren die Faktoren, die dafür sorgten, dass diese „letzte Chance“ nicht wie die von Kopenhagen 2009 vertan wurde?
Erfolgsfaktoren
Als Erstes sind da die schlichten, jedermann sinnlich zugänglichen Tatsachen zu nennen:
- 2015 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, und vieles spricht dafür, dass 2016 noch eins drauf setzen wird. Alle zehn heißesten Jahre der Messungen seit 1880 sind seit 1998 aufgetreten. Es gibt außer der Republikanischen Partei in den USA wahrscheinlich keine ernstzunehmende Kraft auf der Welt mehr, die die Realität des Klimawandels noch rundweg leugnet.
- Die aktuellen Bilder vom Smog in Beijing sandten eine starke Botschaft, die ihren Eindruck auch auf die Delegierten nicht verfehlte. Das hätte man nicht besser timen können.
- Für einige kleinere Inselstaaten besonders im Pazifik ist es bereits zu spät. Einige müssen schon ihren Einwohnern beim geordneten Auswandern helfen.
- Kopenhagen selbst war ein abschreckendes Beispiel; niemand wollte diesmal daran Schuld haben, die Verhandlungen scheitern zu lassen.
Dann war da die Gestaltung der Konferenz selber:
- Während Kopenhagen schlecht vorbereitet war, fanden in den Jahren und Monaten vor Paris immer wieder sorgfältig orchestrierte und professionell kommunizierte Vorbereitungstreffen statt.
- Die Verhandlungsführung der Gastgeber unter der Leitung von Francois Fabius wurde allgemein als Meisterstück französischer Diplomatie-Kunst gelobt. Nicht nur war vorbildlich rhythmisiert, was in den öffentlichen Räumen und was gesichtswahrend hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde. Noch entscheidender war wohl, dass Fabius die Leitungen der 10 Arbeitsgruppen gerade den Nationen übertrug, die vorher schon als Blockierer bekannt waren. Damit wurden sie in die Ergebnisverantwortung genommen. Merci mes amis!
- Die Staatschefs waren gleich zu Beginn der Konferenz anwesend und nicht wie in der Vergangenheit erst kurz vor Schluss, so dass Konflikte nicht mehr auf ihr spätes Eintreffen hin eskaliert werden konnten.
- Der oft zitierte Dreiklang aus Temperaturziel, Abgasziel und Hilfsmaßnahmen gegen den Klimawandel erlaubte bei Verbindlichkeit des Gesamtergebnisses auch Flexibilität in der Verhandlungsführung mit einzelnen Staaten. Zu dieser Flexibilität tragen auch die sich entwickelnden Technologien für erneuerbare Energien bei.
Und dann gab es auch einige herausragende Einzelbeiträge. Nicht nur die Arbeit des französischen Außenministers ist hier zu nennen. Auch Barack Obama tat was ihm möglich war dafür, den ökologischen Fußabdruck seiner Präsidentschaft noch ins Positive zu wenden. Und nicht zuletzt wird erzählt, der Papst habe persönlich und fast in letzter Minute bei der Präsidentschaft Nicaraguas interveniert, deren Delegation sich in Fundamentalopposition gegen die Vertragsvereinbarungen begeben hatte. Wohlgemerkt: es brauchte alle 196 Stimmen. Fast unmöglich, das hinzubekommen. Deswegen schäme ich mich nicht, allen unseren Vertretern, die sich da 12 Tage und wahrscheinlich Nächte abgerackert haben, für ihre Ernsthaftigkeit und ihre Disziplin zu danken und ihnen zu gratulieren.
Bedenken und Kritik
Jedoch, jedoch: das Abkommen ist ein Schritt, noch keine Lösung.
Die Vereinbarung muss von allen 195 Nationen und der EU noch ratifiziert werden. Das kann dauern, und der Ausgang ist nicht in allen Fällen gewiss. Beim Kyoto-Protokoll dauerte der Ratifizierungsprozess 15 oder so Jahre. Bis dahin wird schon wieder viel passiert sein. Indien etwa hat angekündigt, die Produktion von Kohle bis 2020 zu verdoppeln und auch für die Jahrzehnte danach noch auf Kohle für die wirtschaftliche Entwicklung zu setzen. Indien ist bereits jetzt der weltweit drittgrößte Emittent von Karbon.
Und es gibt kenntnisreiche Kritiker der Vereinbarung.
Bill McKibben (350.org) sagte: „Der Text der Vereinbarung widerspiegelt die Macht der Energie-Industrien. Der Übergang zu sauberen Energien wird so weit hinausgezögert, dass endlose Klimaschäden die Folge sein werden.“
Kumi Naidoo (Greenpeace): „Die Emissionsziele sind nicht ehrgeizig genug. Die verursachenden Nationen haben zu wenig Hilfe für die Menschen versprochen, die bereits jetzt ihre Lebensgrundlagen und ihre Leben verlieren.“
Und Ex-NASA-Wissenschaftler James Hansen, der ‚Vater der Klimawechsel-Bewusstheit‘, wurde noch deutlicher. Er sprach dem Guardian gegenüber von „Betrug“, „wertlosen Worten“ und „nur Versprechungen, keine Handlungen“: „So lange fossile Brennstoffe die billigsten Energiequellen sind, werden sie verbrannt werden.“ Hansen fordert eine viel höhere Besteuerung von CO2-Emissionen und warnt vor hunderten von Millionen Klimaflüchtlingen.
Wohin die dann wohl flüchten werden?
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