von Peggy Kammer
Heute geht es ins Traumland ...
Transformatives Lernen findet an der Grenze unserer Identität statt.
Für diese Veränderung unternehmen wir eine Reise ins Innere, die spannender und gefährlicher ist, als wir uns das je zu träumen wagten: Die Reise des Helden.
Der Mythos der Heldenreise
Der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell begegnete uns schon im letzten Teil.
Er entdeckte, dass alle Naturvölker, die er besuchte, eine Gemeinsamkeit hatten. Sie erzählten sich Geschichten, um voneinander zu lernen. Campbell fiel auf, dass diese Geschichten eine typische Situationsabfolge hatten und darin immer wieder ähnliche Charaktere vorkamen.
Er schrieb dieses Grundmuster auf - in seinem Buch "Der Heros der tausend Gestalten" - und legte damit die Heldenreise frei.
Die Stationen der Heldenreise
Ruf und Aufbruch
1. Ruf: Erfahrung eines Mangels oder plötzliches Erscheinen einer Aufgabe.
2. Weigerung: Der Held zögert, dem Ruf zu folgen, beispielsweise, weil es gilt, Sicherheiten aufzugeben.
3. Aufbruch: Er überwindet sein Zögern und macht sich auf die Reise.
4. Prüfungen: Auftreten von Problemen, die als Prüfungen interpretiert werden können.
5. Hilfe: Der Held trifft unerwartet auf einen oder mehrere Mentoren.
Kampf und Transformation
6. Konfrontation - Die erste Schwelle: Schwere Prüfungen, Kampf mit dem Gegner, Dämon / Drachen. Die Konfrontation erweist sich letztlich als ein Kampf gegen die eigenen Blockaden.
7. Fortschreitende Probleme und Prüfungen, übernatürliche Hilfe.
8. Initiation und Transformation des Helden: Die Verwandlung des Helden, die große Prüfung in der tiefsten Höhle. Freisetzung verborgener Kräfte. Empfang oder Raub eines Elixiers oder Schatzes, der die Welt des Alltags, aus der der Held aufgebrochen ist, retten könnte. Dieser Schatz kann in einer inneren Erfahrung bestehen, die durch einen äußerlichen Gegenstand symbolisiert wird.
9. Verweigerung der Rückkehr: Der Held zögert, in die Welt des Alltags zurückzukehren.
Schatz und Rückkehr
10. Verlassen der Unterwelt: Der Held wird durch innere Beweggründe oder äußeren Zwang zur Rückkehr bewegt, die sich in einem magischen Flug oder durch Flucht vor negativen Kräften
vollzieht.
11. Rückkehr: Der Held überschreitet die 2. Schwelle, die Schwelle zur Alltagswelt, aus der er ursprünglich aufgebrochen war. Er trifft auf Unglauben oder Unverständnis, und muss
das auf der Heldenreise Gefundene oder Errungene in das Alltagsleben integrieren.
12. Herr der zwei Welten: Der Heros vereint Alltagsleben mit seinem neu gefundenen Wissen, und lässt somit die Gesellschaft an seiner Entdeckung teilhaben.
Das sind die Etappen der Heldenreise.
In den folgenden beiden Texten findest du jeweils eine gelungene Beschreibung der einzelnen Etappen der Heldenreise, der Helfer auf der Reise und der Errungenschaften, die auf dich warten:
Neugeburt
Joseph Campbell schreibt in seinem Buch "Die Kraft der Mythen":
"Bei der Heldenreise geht es weniger um die Suche nach dem Sinn des Lebens, sondern um die Suche nach der Erfahrung des Lebendigseins. ... Die Handlungssphäre des Helden ist nicht das Transzendente, sondern sie ist hier, jetzt, im Feld der Zeit, von Gut und Böse. ... Der Held zeichnet sich dadurch aus, dass er sein leibliches Leben einer bestimmten Form der Erkenntnis dieser Wahrheit (Unsere wahre Wirklichkeit liegt in unserer Identität und Einheit mit allem Leben.) gewidmet hat."
Und er zitiert Goethe mit folgenden Worten:
„Die Gottheit ist wirksam im Lebendigen, aber nicht im Toten. Sie ist im Werdenden und sich Verwandelnden, aber nicht im Gewordenen und Erstarrten. Deshalb hat auch die Vernunft in ihrer Tendenz zum Göttlichen es nur mit Werdenden, Lebendigen zu tun, der Verstand mit dem Gewordenen, Erstarrten (dem Erkennbaren, Erkannten) , dass er nutzt.“
Den eigenen Weg mit Herz finden - das ist das Ziel und der Lohn der individuellen Heldenreise.
Am dramatischen Höhepunkt der Reise ist der Held oder die Heldin an seinem / ihrem Tiefpunkt: der tote Punkt.
Nichts geht mehr, nichts gilt mehr. Das Gebilde der eigenen Identität ist in sich zusammengefallen. Die Erfahrung der puren Existenz - ohne Bilder und Bewertungen davon, wer und wie man zu sein hat und zu sein glaubte. Aus der Quelle des Nichts kann sich alles neu formieren.
Verzweiflung, Ohnmacht, tiefste Traurigkeit und Leere, Einsamkeit und Sinnlosigkeit - genau das wartet am Höhe- und Tiefpunkt der Reise, im Schmelztiegel der Verwandlung. Der Mystiker Johannes vom Kreuz hat dies als "dunkle Nacht der Seele" bezeichnet.
In dieser scheinbar ausweglosen Lage rührt sich eine Stimme in uns, die sagt "Aber trotzdem!". Eine zunächst zarte Vision davon, wofür es sich zu leben lohnt, wofür wir eintreten wollen, was richtig und wichtig ist.
Es ist das, worunter wir als Individuum am meisten leiden in der Welt. Es ist das, wofür wir uns am meisten und heftigsten kritisieren - und uns schämen.
Pfeif auf die Lösung, kuck, was da ist.
Das ist seit einiger Zeit meine Maxime, wenn ich ein Problem habe, in einer Krise stecke und nicht weiter weiß. Der Satz hält mich davon ab, blind loszustürzen, ohne zu wissen, was eigentlich genau Sache ist.
In der Mitte der Heldenreise, dann, wenn wir transformativ lernen, ist das pure Anerkennen der Realität der Schlüssel zu unserem weiteren Weg.
Die Anerkenntnis unseres bisherigen Lebens mit seinen Entwicklungen, Stolpersteinen, Mustern, Erfolgen und Niederlagen.
Die Geschichte, die wir von uns erzählen, verändert sich. Wir sind nicht mehr entweder Opfer oder Täter, Erfolgreiche/r oder Loser. Wir sehen nun beides in allen Stationen unseres Weges. Wir verbinden uns mit dem Anfang, dem Mythos, mit dem wir das Licht der Welt erblickten.
Wir übernehmen jetzt die volle Verantwortung für uns, für unser Leben, für unseren Traum, für unsere Wirkung. Heureka.
Die zweite Schwelle, wenn wir zurück in die Welt, in unser Umfeld, zu den Menschen, die uns nahe stehen, gehen, ist die dritte große Prüfung, die wir bestehen müssen - nach dem Kampf mit dem Drachen und dem Raub des Schatzes. Dazu in Teil 8 mehr...
Paradoxes Intermezzo
Da es bei unserem Prozess darum geht, die vermeintliche Realität auf den Kopf zu stellen, kommt diesmal keine Frage an dich, sondern dies:
"Die Heldenreise verlangt, dass wir die Illusion aufgeben, nicht wichtig zu sein.
Und die Reise erfordert von uns, die Illusion aufzugeben, dass wir wichtig sind."
Die Zen-Buddhisten haben einen Namen für solcherlei Paradoxien, die unseren Intellekt zum Kapitulieren bringen sollen - das Koan.
Meditiere über diese beiden Sätze ... bis zum nächsten Mal. Mu.
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