von Rainer Molzahn
Dies sind dunkle Wochen, nicht nur jahreszeitlich und wettermäßig, sondern auch, was die schockierende, weltweit grassierende Gewalt angeht, die unsere Tage durchzieht.
Deshalb möchte ich in diesem adventlichen Beitrag ein Ereignis feiern, das für friedlichen Wandel und Hoffnung auf eine menschlichere Zukunft steht: die allgemeinen und freien Wahlen in Myanmar am 8.11. – die ersten seit über einem halben Jahrhundert.
Es kann immer noch viel schief gehen, aber es sieht so aus, als ob es der größten Oppositionspartei, der Nationalen Liga für Demokratie unter Führung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, gelungen ist, eine solide absolute Mehrheit in den beiden Kammern des Parlaments zu erzielen, nach einer einigermaßen friedlich verlaufenden Wahl, die von 10.000 akkreditierten Beobachtern bezeugt wurde.
Wenn das kein Grund zum Feiern ist!
Die Menschen in Burma taten es auch, als wären sie nach Jahrzehnten der Unterdrückung und Abschottung endlich erlöst und befreit. Was sie hoffentlich auch sind und bleiben.
Willkommen in der Welt, liebe Burmesen!
Die Geschichte bis hierher
Myanmar ist ein kompliziertes Land. Die Mehrheit sind Buddhisten, aber es gibt christliche, islamische und andere religiöse Minderheiten und eine Vielzahlt von Ethnien, die in ständigem Streit miteinander und der Mehrheit liegen. Es war noch nie leicht, eine zentrale Gewalt zu realisieren, die sich auf das Mandat aller Einwohner berufen konnte, und übrigens sind die verschiedenen Landesbezeichnungen (Birma, Bama, Burma, Myanmar usw.) Ausdruck für die wiederholten Versuche, einen semantischen Regenschirm über alle Teile zu spannen.
120 Jahre lang war Myanmar britische Kolonie, bevor es wie andere Staaten auch 1948 in die Unabhängigkeit entlassen wurde. 1962 putschte das Militär, und seitdem herrscht es ununterbrochen: eine durch und durch korrupte Elite, die sich in den Besitz der wertvollsten Bodenschätze und Rohstoffe gebracht hat und ein in der Verfassung garantiertes Viertel der Sitze in den Parlamentskammern besetzt. Neben Nordkorea war Myanmar in den Jahren der Militärdiktatur das wohl isolierteste und am gründlichsten abgeschottete Land der Welt.
1990 wurden Wahlen veranstaltet, die die Opposition unter Aung San Suu Kyi mit überwältigender Mehrheit gewann. Das Ergebnis wurde von der Junta ignoriert und annulliert und die Oppositionsführerin unter Hausarrest gestellt, für die folgenden 20 Jahre. 2010 gab es die nächsten Wahlen, das Militär setzte einen zivilen Präsidenten ein und entließ Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest. Seitdem macht das Land stolpernd und zögerlich Schritte in Richtung auf Demokratisierung und Öffnung.
Die Wahl und ihre Folgen
Das Volk hat gesprochen, Aung San Suu Kyi und ihre NLD haben einen Erdrutschsieg errungen. Aber das Militär sitzt immer noch an den meisten Hebeln der Macht, und es ist noch keineswegs sicher, wie viele davon es aus den Händen geben möchte.
Da sind nicht nur Eignerschaft an nationalen Ressourcen und garantierte Parlamentssitze und Schlüsselministerien. Da ist auch eine Verfassung, die geradezu auf die Abwehr von Aung San Suu Kyi zugeschnitten scheint: Sie darf nicht Präsidentin werden, weil sie mit einem Briten verheiratet war und auch ihre beiden Kinder ausländische Staatsangehörigkeiten besitzen.
Seit ein paar Tagen finden regelmäßige Meetings zwischen ihr und Vertretern der Machthaber statt, um einen Fahrplan für den Übergang zu einem anderen politischen System zu verhandeln. John Kerry bezeichnete in einer vorsichtigen Stellungnahme die Art und Weise dieses Übergangs als entscheidend für die zukünftige Entwicklung des Landes. Welche Rolle genau Aung San Suu Kyi im neuen System einnehmen wird, ist noch unklar. Klar ist aber, dass sie die Einzige ist, die wirklich für die Mehrheit der Burmesen sprechen kann.
Aung San Suu Kyi
Die Friedensnobelpreisträgerin, mittlerweile 70, die ihr Leben, ihre Freiheit und ihre Gesundheit für das Land hergegeben hat, besitzt eine überragende moralische Autorität und ein hohes Ausmaß an Ältestenschaft.
Viele Menschen haben sie gewählt, die mit Politik gar nichts zu tun haben wollen. Sie äußerte sich vor kurzem über den Wahlausgang und die vor ihr liegenden Herausforderungen so:
„Sieg oder Niederlage, das ist nicht wichtig. Wichtig ist, wie wir gewinnen oder verlieren.
Der Verlierer muss sich der Niederlage mutig und gefasst stellen, und der Gewinner muss bescheiden und großherzig sein. Das ist wahre Demokratie.“ Und sie sagte auch: „Ich werde über dem Präsidenten stehen.“
Buchtipp
Andreas Lorenz:
"Aung San Suu Kyi – ein Leben für die Freiheit"
Kommentar schreiben