von Peggy Kammer
Die innere Führung übernehmen - das ist transformatives Lernen bzw. das Ergebnis des Prozesses. Immer wieder ein bisschen mehr Herr oder Frau im eigenen Haus zu sein.
Wie aber passiert es, dass wir transformativ lernen? Wie verläuft der Prozess?
Der Stein des Anstosses
Ich schreibe hier die ganze Zeit so selbstverständlich über transformatives Lernen: worum es geht und was es bewirken kann, über die Wandelbarkeit der Identität und den inneren Kritiker.
Das sind keine Themen, die man mal eben so nebenbei runterreißt. Und die Aufforderung, transformativ zu lernen, kommt immer ungebeten und meist ungelegen.
Wir kucken nicht in unseren Kalender, sehen einen freien Tag und denken uns: Okay, übernächste Woche Dienstag ist eine Transformation dran. (Wenn ich ehrlich bin, habe ich das noch nicht probiert... Vielleicht klappt das ja auch, wer weiß.)
Die große Krise klopft an, erst ganz sachte, dann, mit der Zeit, allmählich lauter, beständiger und in unterschiedlichen Bereichen und auf diversen Kanälen. Je nachdem, wie sensibel wir für die Signale sind, werden wir früher oder später etwas merken.
Die Signale kommen aus unserem Inneren:
Krankheit oder diffuse körperliche Symptome, latente Unzufriedenheit, Traurigkeit, Wut, Erschöpfung, Langeweile, ....
oder/und aus dem Außen: Wir werden verlassen oder entlassen, bekommen Feedback, was so gar nicht in unser Selbstbild passt, werden kritisiert, haben einen Unfall oder Beziehungsprobleme ...
Das sind die Rufe, die Signale, die sagen: Hier steht eine Veränderung an.
Bereits an dieser Stelle wirken diverse Abwehrmechanismen:
- Leugnung: Da ist nix.
- Unverständnis: Das sagt mir nix.
- Marginalisierung und Relativierung: Ist nicht so schlimm. Wird schon wieder. Sonst ist doch alles okay.
- Ver- und Gebote: Jetzt hab dich mal nicht so und reiß dich zusammen.
Wir ahnen schon, aus wessen Mund das kommt...
Unser inneres Team ist bereits - ohne, dass wir davon bewusst Notiz nehmen - aktiv und bewertet die Signale, die uns zu einer Veränderung auffordern. Je nachdem, wie die herrschende innere Minderheit zusammengesetzt ist, werden die Signale schneller oder langsamer durchgelassen, erreichen unser Bewusstsein und sorgen dafür, dass wir genauer hinschauen.
Wenn unser innerer und wandlungs-unwilliger Kritiker noch sehr stark ist und die Machtverhältnisse prägt, werden wir uns mit Händen und Füßen nicht nur gegen eine Veränderung, sondern schon gegen die Existenz, die Realität, der Signale wehren.
Schon ganz am Anfang des Prozesses sind die Hüter unserer Identität auf Hab-Acht-Stellung und wehren alles ab, was nicht in unser Selbstbild, in unser gültiges Selbstkonzept, passt.
Früher oder später, manchmal Jahre später, sind die Signale aber nicht mehr zu übersehen, zu überhören, zu überfühlen ... Und dann?
Sprache und andere wirre Ereignisse
Irgendwann sagt unser Kopf: Hier ist was. Was ist das?
Welche Bezeichnung wir auch immer finden, für das, was da ist: Sie entscheidet über den weiteren Werdegang. Und hier ließen sich so viele Beispiele finden, wie es Menschen auf unserem Planeten gibt - und noch mehr.
Ein Beispiel mit unzähligen Möglichkeiten:
Nehmen wir mal an, Martin ist total erschöpft, kann sich nicht konzentrieren, schläft schlecht usw... Das sind die Daten.
Die Zusammenfassung der Daten mündet in der Bezeichnung "Burn-out".
Was nach der Benennung passiert, hängt von deren Bewertung ab.
Lautet die Bewertung "Du musst mal ein bisschen kürzer treten." oder "Du brauchst eine Auszeit." oder "Du musst dich mehr abgrenzen und öfter nein sagen." oder "In diesem Job wirst du dauerhaft überfordert sein." oder "Das hat jeder mal. Treib Sport, gönn dir ein Wellness-Wochenende und verabrede dich mal wieder, dann wird das schon." ... oder oder oder ...?
Die Bewertung entsteht meist in einem Wechselspiel aus inneren Dialogen und mehr oder weniger gut gemeinten Kommentaren oder Ratschlägen von Außen.
Was wir automatisch tun, ist, nach einer schnellen Lösung zu suchen. Das Symptom soll verschwinden. Und zwar bitte flott. Wir wollen wieder funktionieren. Und manchmal klappt das auch, wenn auch oft nur für eine begrenzte Zeit. Irgendwann klopft es wieder an ... und das ist dann ein sicheres Zeichen dafür, dass die vorige Lösung nicht die richtige war bzw. nicht an der richtigen Stelle angesetzt hat.
Was uns ereilt, nachdem wir ein Signal ernst genug nehmen, um uns mit ihm zu beschäftigen, sind vielfältige Impulse, Gedanken, innere Dialoge, Hilfe von außen - also kurz und gut: ein ganzer Haufen an Informationen und Gefühlen, die schwer zu sortieren sind.
Statt schnell etwas zu tun, also umzusetzen und zu handeln, ist es viel schlauer und wirksamer, sich Zeit zu nehmen und zu verlangsamen, was da eigentlich innen passiert.
Ja, es ist Teamsitzung.
Stopp! Verlangsamen
Konfuzius sagte: "Wenn du es eilig hast, gehe langsam." Für solcherlei Paradoxien hat unser westliches Bewusstsein kein Verständnis: Ist unlogisch, geht nicht.
Was uns eine Verlangsamung bringt, ist ganz einfach: Wir beobachten den inneren Dialog in uns und hören die verschiedenen Meinungen, entdecken die leisen Stimmen und vagen Impulse. Und nur dann haben wir die Chance, eine tragfähige und gute Lösung für unser Problem zu finden.
Über ein Problem und die verschiedenen Lösungs-Optionen nachdenken - das tun wir meist. Gedanken sind schnell, verschwurbeln miteinander, kommen manchmal nur in halben Fetzen ... und gegensätzliche Positionen spielen Ping-Pong miteinander bis wir völlig irritiert sind ...
Verlangsamen können wir durch Sprechen oder/und Schreiben - allein oder mit jemandem an unserer Seite, der zuhört und bezeugt und vielleicht auch Fragen stellt.
Was in unserem Inneren passiert, ist ein meist wilder innerer Dialog über die korrekte Bezeichnung der Signale und über deren Bedeutung für uns.
Im "normalen" Alltag laufen die Schleifen zwischen Information und Bedeutung in Nanosekunden ab, so dass wir handlungsfähig sind.
Wenn wir mit einer neuen Herausforderung konfrontiert sind und unsere routinierten Handlungen nicht mehr erfolgreich sind, müssen wir etwas verändern - und das heißt, dass unser inneres Team beraten muss, worum es jetzt geht und wie eine "gute" Lösung aussehen kann.
Was ist richtig und wahr?
Und jetzt beginnt ein innerer Verhandlungsprozess.
Ein erster wichtiger Schritt ist, die Benennung des Problems - als Zusammenfassung der Daten - nochmal zur Disposition zu stellen und die Information erst einmal komplett zu entfalten.
Wenn wir bei Martin bleiben: Die Benennung des Problems als "Burn-out- Syndrom" hat andere Konsequenzen hinsichtlich der Bedeutung für ihn als beispielsweise
- "Ich bin kraftlos und habe keine Freude mehr an dem, was ich tue." oder
- "Ich erfülle stets die Erwartungen meiner Chefin, aber, was ich selbst wichtig finde, weiß ich schon gar nicht mehr." oder
- "Ich bin so abhängig von meinem beruflichen Erfolg, weil ich sonst nichts habe und bieten kann." oder
- "Der Job überfordert mich und ist eigentlich gar nicht das, was ich machen wollte."
- "Ich bin immer bereit, neue Aufgaben zu übernehmen und merke erst später, dass ich das gar nicht schaffen kann." usw. oder alles zusammen.
Je nachdem, welche Information(en) Martin als Beschreibung dessen, was ist, wählt, wird seine Auseinandersetzung dazu, was das für ihn bedeutet, prägen und seine Aufmerksamkeit in die eine oder andere Richtung lenken.
Welche Information er als "richtig" auswählt, hängt davon ab, was zu seinem Selbstbild passt, also welche Information er zulässt und welche inneren Teammitglieder Mitspracherecht haben - und wer den Prozess führt.
Und hier wird es richtig spannend und auch anspruchsvoll.
Im nächsten Teil schauen wir uns an, was passiert, wenn wir transformativ lernen und die Definition davon, wer wir sind, neu schreiben.
Rückblick auf deinen eigenen Prozess
Während wir mit einem Problem konfrontiert sind, fällt es uns meist schwer, zu verstehen, was da gerade passiert, an welcher Stelle wir stehen und worum es im Kern geht. Rückblickend, mit Abstand und Reflexion, ist es für uns leichter, den Spuren der inneren Auseinandersetzung zu folgen.
Deshalb für heute folgende Einladung: Denk an eine Veränderung in deinem Leben und erkunde, was mit und in dir passiert ist.
- Was ist dir passiert - innen und außen -, das dich aufgerufen hat, etwas zu verändern?
- Wie lange hat es gedauert, bis du überhaupt etwas gemerkt und die Signale ernst genommen hast?
- Was hat dich gehindert?
- Was hat dir geholfen, genauer hinzusehen?
- Welche verschiedenen Bezeichnungen hast du für deine Herausforderung gefunden?
- Woran hast du erkannt: "Genau, darum geht es." ?
- Wie war deine erste innere Reaktion darauf?
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