von Julian Gebhard, Rainer Molzahn und Peggy Kammer
Wir sprechen oft vom Dialog, wenn es darum geht, in einer Gruppe von Menschen, neue Antworten zu finden. "Die Wahrheit scheint durch." - so sprach Hugo Kükelhaus.
Was ist ein Dialog?
In diesem Beitrag erwartet dich ein Interview mit Julian und Rainer zu einigen Fragen rund um Dialog und Councilarbeit - und kollektive Intelligenz...
Interview zum Dialog
Was ist das Besondere am Dialog?
Julian:
"Der Dialog ermöglicht es Themen, wichtige, bewegende Themen zu besprechen, ohne dabei in eine herkömmliche Diskussion zu verfallen. Es ist nicht nötig, in einen Dialog mit einer Sieg-oder-Stirb-Mentalität einzusteigen. Wie oft hat man sich in Debatten schon geweigert, eine anderes Argument anzuerkennen aufgrund des Wissens, dass damit die eigene Position geschwächt würde? Der Dialog braucht das nicht. Teilnehmer versuchen, gemeinsam nach dem Wissen zu forschen, das durch alle schon vorhanden ist. Dies ermöglicht – und braucht – eine andere Art von Bewusstsein, von Wachsein dem Gesprächsprozess gegenüber. Mit ihm kann man voneinander lernen - nicht um zu wissen, wo mein nächstes Argument ansetzen muss, sondern aus echtem Interesse an der Geschichte des Nächsten."
Rainer:
ganz schlicht und oberflächlich: der Dialog ist ein Gruppengespräch ohne Agenda und Ergebnisfokussierung. Es wird über das gesprochen, was im Moment Leben und Bedeutung hat. David Bohm, der Begründer des modernen Dialoges, stellte sich obendrein auch noch große Gruppen von nicht unter 30 Leuten vor, weil es in großen Gruppen fast unmöglich ist, sich in irgendeine Gemeinschaftstrance hineinzuschaukeln: es gibt mit ziemlicher Sicherheit zu jeder möglichen Meinung eine entgegengesetzte. Er ist also das Gegenteil von allem, was den meisten Menschen in unserer Kultur vertraut ist, und manche finden das wahrscheinlich auch hoch aversiv: keine Leitplanken, keine zielorientierte Gesprächsführung, kein Schutz gegen heiße Momente, Vielfalt statt Gradlinigkeit. Das ist nichts für geistige Nichtschwimmer."
Welche Erfahrungen haben dich besonders geprägt?
Julian:
"Viele. Ich erinnere mich an einen Dialog vor einigen Monaten. Es war einer der größten, an denen ich bisher teilgenommen habe. Vieles des dort gesagten fällt mich mir nicht mehr ein. Das hat vermutlich damit zu tun, dass er lange Zeit nicht sehr spannend war. .. Ja, das kann auch vorkommen. ... Viele der Teilnehmer nutzen ihre Beiträge, um Meinungen und abstrakte Ideen kundzutun. Ob das nie hilfreich sein kann, ist hier nicht wichtig. Wichtig ist der letzte Beitrag eines Schülers, der zum ersten Mal teilnahm. Als er kurz vor Ende zum ersten Mal etwas sagte, erzählte er von seinem israelischen Vater und seiner italienischen Mutter und davon, wie es war, mit diesen Eltern in Deutschland aufzuwachsen. Er hatte kein präzises Argument oder eine ausgefeilte Theorie. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, war sein Beitrag der mit Abstand wichtigste Teil des Dialogs. Er hatte nämlich das getan, was so viele an diesem Tag nicht taten und was so wertvoll für den Dialog ist: Er hatte etwas von sich geteilt."
Rainer:
"Genau solche Erlebnisse habe ich auch immer wieder. Die ganz besondere Qualität des Dialogs ist es, dass die Grenzen zwischen Inhalt und Prozess, zwischen Sache und Person fallen können. Persönliche Themen, die ja ganz oft mit inhaltlichen Standpunkten zu tun haben oder sogar zu ihnen geführt haben, sind in einem viel höheren Maße eingeladen als in normalen Gruppendiskussionen. ‚Sachlichkeit‘ als Spaltung von Kopf und Herz ist im Dialog kein Wert. Ein Dialog ist andererseits auch keine reine Psycho-Badewanne. Dazu ist das Thema, ist der Inhalt viel zu wichtig. Es entsteht aber, auch bei inhaltlichen Differenzen, ein Klima größerer gegenseitiger Empathie, und das ist berührend und sehr konstruktiv."
Was fasziniert dich am Dialog?
Julian:
"Gewissermaßen genau das, was ihn so besonders macht. Der Dialog ist eine Form des
Gespräches frei von Lagerbildungen, in dem dennoch schwerwiegende Themen besprochen werden können."
Rainer:
"Meistens wird im Dialog im Kreis gesessen und gesprochen. Man kann also nicht direkt antworten, sich verteidigen, richtigstellen, erklären oder angreifen, sondern muss warten, bis man wieder dran ist.
Bis dahin haben dann schon wieder viele andere gesprochen, und man selbst hat auch nicht mehr die Gedanken und Gefühle, die man noch bei seiner letzten Äußerung hatte.
Der Prozess des sich gegenseitig im Gespräch Beeinflussens ist also ein völlig anderer als der in einer Diskussion, so wie die meisten das kennen. Wenn man das mal so ausdrücken kann: der Gruppengeist wandert.
Das Wort Dialog hat ja die griechischen Wurzeln ‚Dia‘ (hindurch) und ‚Logos‘ (Geist).
Und genau das kann man im Dialog immer wieder beobachten: es gibt etwas Größeres, an dem
alle beteiligten Personen teilhaben und das sie durch ihre Beteiligung mit erschaffen. Darin liegt auch etwas sehr Egalitäres."
Was kann der Dialog im besten Fall bewirken?
Julian:
"Gute Frage. Mit ging es nach guten Dialogen oft so, dass mir bewusst wurde, wie sehr wir alle
gleichzeitig Schüler und Lehrer voneinander sind. Manche Dialoge schaffen nämlich genau das: Etwas bewusst zu machen, was all die Zeit schon so selbstverständlich da war, dass keinem aufgefallen ist, wie sehr es uns alle prägt."
Rainer:
"Verbundenheit herzustellen. Das herauszuschälen, was in diesem Moment für eine Gruppe Bedeutung und Relevanz hat. Die Dynamik sichtbar werden zu lassen, in der diese Bedeutung verhandelt wird. Den Boden dafür zu bereiten, wie man gemeinsam zu Lösungen und Ergebnissen kommen kann."
Was ist der Unterschied zwischen Dialog und Council?
Julian:
"Der Dialog hat eine sehr wissenschaftliche Komponente. Man versucht, etwas zu besprechen und dazu eine Meta- oder sogar Meta-Meta-Perspektive auf diese Unterhaltung zu erhalten. Der Council funktioniert oft mehr auf einer heilenden, emotionalen Ebene. Die wichtigsten Elemente - der Kreis, Entschleunigen und das Hören und Sprechen mit dem Herz - sind jedoch in beiden vorhanden."
Rainer:
"Fragst du mich bitte im Herbst nochmal? Wir vom Wandelforum machen uns im Sommer auf den Weg, um Kontakte zwischen praktizierenden Dialog- und Council-Vertretern herzustellen, um dann mit ihnen gemeinsam unter anderem genau dieser Frage nachzugehen – im Angesicht der offensichtlichen Verwandtschaften zwischen den Ansätzen. Das Erstaunliche ist ja, dass beide so wenig voneinander wissen. Das wollen wir jetzt ein bisschen ändern. Wir glauben, dass wir Menschen auf der Erde vor derartig massiven und schicksalsschweren Herausforderungen stehen, dass wir unser Bestes zusammenschmeißen müssen, um auf diese Krisen schöpferisch und nachhaltig zu antworten. Dialog und Council können erheblich dazu beitragen."
Was ist ein Dialog?
Ganz kurz zusammengefasst, könnte die Antwort lauten:
Ein Dialog ist gemeinsames Denken und Teilen, Hören und Resonieren - zu und mit einem Thema oder einer Frage - ohne Agenda und Ergebnisdruck, dafür aber mit viel Zeit und Raum zum Verlangsamen, Beobachten und Mitfühlen.
Oder ... mit den Worten von Jiddu Krishnamurti, einem der großen Brückenbauer zwischen östlichem und westlichem Denken:
"Wenn du wirklich zuhörst, dann geschieht dabei ein Wunder. Das Wunder besteht darin, dass du ganz bei dem bist, was gesagt wird, und gleichzeitig deinen eigenen Reaktionen lauschst."
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