von Jonas Drawitsch
Hast du es auch schon einmal erlebt, dass du einen Streit oder eine Diskussion hattest, plötzlich gemerkt hast, dass du im Unrecht bist... und hast trotzdem weiter diskutiert?
Vielleicht nicht. Aber es würde mich sehr überraschen, wenn du nie ein Gefühl der Niederlage gehabt hättest, nachdem in einer Diskussion dein Unrecht bewiesen wurde.
Aber warum ist das so?
Diese Frage ist nicht nur interessant, sondern auch wichtig, da diese Einstellung - die Wahrnehmung einer Diskussion oder auch nur eines Meinungsaustausches als Wettstreit, in dem man gewinnt oder verliert - einer der größten Hindernisse ist, die einem Dialog im Wege stehen.
Vielleicht fällt dir, lieber Leser, die Antwort sehr leicht. Aber ich bin mir sicher, dass sich viele andere noch keine Gedanken über dieses Thema gemacht und es vielleicht als Thema auch noch gar nicht wahrgenommen haben. Für euch, auf die das zutrifft - für euch ist dieser Blogeintrag.
Lass uns beginnen
Um dahinter zu kommen, warum es uns so schwer fällt, Unrecht zu haben, hilft es, zum Zeitpunkt der vermeintlichen Niederlage einen Schritt von uns selbst zurück zu treten und zu untersuchen, was wir gerade fühlen. Wie du dir schon denken kannst, bin ich in diesem Themengebiet nicht ausgebildet und kann deshalb nur von meiner Erfahrung schreiben - in der Hoffnung, dass es anderen ähnlich geht und dass meine persönlichen Antworten demnach auch auf andere anwendbar sind.
Ich möchte diesen Blog nicht länger als nötig machen und werde hier deshalb nicht die einzelnen Schritte meiner "Selbsterkenntnis" dokumentieren, sondern nur die Erkenntnis, die am Ende des ganzen Prozesses steht. Am Ende meines Reflexionsprozesses stand zunächst erst einmal die Realisierung, dass ich die genannte Situation überhaupt als Niederlage wahrnehme, was eine wesentlich klarere Definition als ein einfaches "ich bin sauer" ist.
Und diese Erkenntnis hat mich zu zwei weiteren Fragen geführt:
- Warum nehmen wir Diskussionen überhaupt als Wettkampf wahr? und
- Warum ist die Niederlage in einem solchen Wettkampf überhaupt etwas Schlimmes für so viele?
Sieg und Niederlage in Diskussionen
Beide Fragen bergen Antworten, deren volle Ausformulierung viele Seiten füllen würde und über die man vermutlich auch noch einen ganzen Dialog führen könnte...
Aber hier ist meine persönliche Antwort auf die erste Frage, die in die Antwort auf die zweite übergeht:
Warum die Diskussion als Wettkampf?
Denn die Definition des Wortes implementiert keineswegs dieses Verständnis! Der Drang, sich mit unseren Mitmenschen zu messen und über sie zu triumphieren, ist in manchen von uns ausgeprägter als in anderen. Aber: Er ist nichtsdestotrotz vorhanden. Ob dieses Bedürfnis nur ein Phänomen westlicher Kultur ist, ist übrigens ebenfalls ein anderes Thema.
Ich (und Freunde, mit denen ich mich darüber unterhalten habe, haben mir dabei nicht widersprochen) bin der Ansicht, dass dieses Verlangen nach Sieg etwas mit dem Bild von uns selbst zu tun hat und letztendlich damit, wie sehr wir uns lieben und wovon wir diese Liebe abhängig machen. Indem wir über andere triumphieren, wollen wir sowohl uns als auch anderen unseren Wert beweisen. Dieses Bedürfnis halte ich für ungesund und es beweist, dass die Antwort auf die Frage "Wie sehr lieben wir uns selbst?" lautet: Sehr wenig. Denn eine der großartigsten Eigenschaften der Liebe ist: Liebe ist bedingungslos. Falls du diesen Satz noch nicht gelesen und ihn dir dick mit rotem Edding unterstrichen an den Kühlschrank geheftet hast: Tu es jetzt!
Denn aus dieser Aussage über die Liebe, die wir zu uns selbst empfinden sollten, schließt sich so vieles. Uns selbst bedingungslos zu lieben ist in unserer Kultur unheimlich schwierig und doch so wichtig, weil diese Liebe bestimmt, wie wir uns selbst in unserem engeren und weiteren sozialen Umfeld wahrnehmen. Auch diese Wahrnehmung ist ein eigenes Thema, doch ich will mich auf ihre Auswirkung auf unser Diskussionsverhalten konzentrieren.
Sobald es mir gelingt, mich selbst wirklich zu lieben, erlischt in mir das Verlangen, mich mit anderen zu messen. Ich bin mir selbst genug. Und als Mensch, der sich selbst genug ist, habe ich auch nicht mehr die Sorge, dass - wenn ich unrecht habe - andere mich für dümmer oder, Gott behüte, für weniger wertvoll halten. Und ich glaube, dass mehr Menschen diese Sorge haben als man meinen möchte. Wenn ich nun mit Leichtigkeit andere Meinungen selbst in hitzigen und leidenschaftlichen Diskussionen als verständlich, beziehungsweise zutreffend, anerkennen kann, habe ich einen großen Schritt in Richtung "emanzipiertes Diskussionsverhalten" getan.
Die Liebe im Dialog
Hier nähere ich mich jetzt dem im Wandelforum sehr präsenten Thema "Dialog" und auch der Frage, weshalb es gerade für den Dialog so wichtig ist, sich zu lieben.
Was ich hier über diese Gesprächsform sagen kann ist folgendes: Wo heute in Diskussionen das Ziel ist, darzulegen, warum die eigene Meinung richtig und die andere Meinung falsch ist, dient der Dialog dem Gedankenaustausch und hat zum Ziel, ein Thema durch mehrere Lichtquellen von allen Seiten seiner Schatten zu berauben und es so als Ganzes sehen zu können.
Um ein solches Thema in seiner Vollkommenheit betrachten zu können, muss man nun in der Lage sein, zu akzeptieren, dass die eigene Sicht eingeschränkt ist und es gut sein kann, dass man dadurch einen unzureichenden Blick auf das große Ganze hatte. Nur so hat ein Lernen in Gruppen eine Erfolgswahrscheinlichkeit- und genau darum geht es bei diesem Prozess.
Wenn wir uns lieben, ist das Annehmen einer solchen Erkenntnis kein Problem, denn wenn wir anerkennen, in irgendeiner Form Unrecht gehabt zu haben, verlieren wir nichts. Wir lieben uns wie zuvor. Denn, ich schreibe es gerne noch einmal, diese Liebe ist bedingungslos.
Wie kann ich das in den Alltag übernehmen?
Der Dialog ist durch seine Herangehensweise an Themen unter anderem darum so attraktiv, weil er jede Meinung nicht nur berücksichtigt, sondern sogar auf sie angewiesen ist. Nun sind wir noch nicht so weit, dass wir jeden Meinungsaustausch als Dialog führen können. Diskussionen sind, so ärgerlich es ist, nach wie vor das handelsübliche Mittel zum Zweck. Wenn du also das nächste Mal in einem Meinungsaustausch bist, erinnere dich: Die Ansicht deines Gegenübers ist genauso wichtig wie deine eigene. Und wenn du seine Argumente überzeugender findest- traue dich, das zuzugeben! Du ziehst keinen Nachteil daraus und solltest du den Eindruck haben, dass dein Gegenüber sich dir dadurch überlegen fühlt: Versuche, dich da rauszunehmen, denn der einzige Menschen auf dessen Wertschätzung du angewiesen bist, bist du selbst.
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